Die Verbindung zu meinem inneren Kind

Über das Kind in mir zu sprechen, fühlt sich für mich ein Stück weit intim an. Ich habe aber beschlossen, dass es mir persönlich so viel gibt und gegeben hat, dass ich gerne andere Menschen an meinem Prozess und Erkenntnissen teilhaben lassen möchte.

Das innere Kind als ein Anteil meiner Selbst zeigt mir die kindlichen Züge, Gewohnheiten oder Bedürfnisse, Verletzungen oder Schatten, die ich aus meiner Kindheit mit in das »Erwachsenen-Leben« genommen habe. Hin und wieder arbeite ich mit diesem Bild und kann mir so durch Vorstellungskraft näher kommen.
Jene Bilder habe ich nun mit Hilfe von Fotobearbeitung sichtbar und real werden lassen. Auch wenn die Fotos für Außenstehende vielleicht einfach wirken wie Bilder, auf denen ich mit einem beliebigen Kind abgebildet bin – für mich persönlich sind sie sehr kraftvoll. Sie fühlen sich an wie eine Zeitreise, bei der ich mir selbst in die Augen sehen kann, das Kind, das ich mal war, fühlen und berühren kann. Und zugleich ist es nicht nur Zeitreise sondern auch Spiegel von dem, was gerade ist.

Denn sie, die kleine Swantje, ist immer noch in mir und genauso Teil meiner Persönlichkeit, wie die erwachsenen Züge, die sich hinzugesellt haben. Sie ist eine wunderschöne Seele – frei, frech, wild, bunt, neugierig, fröhlich, vertraut, clever und unfassbar hungrig. Sie kann ganz schön laut sein und will immer jede Menge Aufmerksamkeit und das letzte Wort haben.
Ich habe angefangen, ihr zuzuhören und mir ihr in Kontakt zu treten. Das mag leicht schizophren klingen, ist für mich aber eine wertvolle Methode. Sie gibt mir die Möglichkeit, mich zurück zu besinnen, von ihr zu lernen, und hin und wieder auch, dieses Kind zu sein und auszuleben.

 

Fühlen

 

Sie schaut unschuldig und mit großen Augen in die Welt, die sie umgibt – ohne Scham oder Schuld.
Und sie zeigt sich und ihre Gefühle pur und ungezügelt. Da sind Schmerz, Traurigkeit, Wut, Unverständnis – aber auch Euphorie, endlose Vergnüglichkeit und Liebe. Sie fühlt sie alle ungefiltert und lässt sie da sein, lässt sie fließen. Sie offenbart sich. In vollstem Vertrauen.

Für sie ist es das Selbstverständlichste der Welt. Ich hingegen erinnere mich daran, wie es war, erlerne erst wieder, diese Gefühle pur zuzulassen und dabei ehrlich mit mir zu sein. Den Kopf, die Zweifel, die Filme im Kopf mal zu pausieren und mir Stille, Tränen, Schreie – was auch immer da sein will –  zu erlauben, ohne es stark zu bewerten, beschwichtigen oder rechtfertigen zu müssen. Diese Erlaubnis kostet mich manchmal immer noch ganz schön Überwindung und Kraft. Jedes Mal wenn es mir gelingt, merke ich, dass »Schwäche zeigen« eine große Stärke in sich trägt. Doch jedes Mal, wenn sich ein geschützter Raum auftut und ich es schaffe, meine Verletzlichkeit zuzulassen, findet eine Verbindung statt – mit mir selbst, mit anderen und mit ihr.

 

Wachsen

 

»Warum ist das so?« – »Weil das damals so üblich war.« – »Und warum?« – »Weil sich das jemand so mal überlegt hat.« »Und warum?« – das kleine Mädchen kann dieses Spiel endlos spielen. Sie ist durstig danach, alles zu verstehen. Sie ist »neu-gierig«. Alles, dem sie zum ersten Mal begegnet, ist faszinierend und magisch, wird mit großen Augen betrachtet, kritisch beäugt, berochen, mit den Fingern erfühlt oder in den Mund gesteckt. Sie will die Dinge verstehen – mit allen Sinnen und in einer tiefen Verbindung. Sie nähert sich den Dingen bis zum Kern. Und sie will mehr.

Was mir manchmal genau dabei hilft, ist, Dinge und Menschen mit den Augen der kleinen Swantje zu betrachten und mich daran zu erinnern, dass ich das Staunen über die kleinen Dinge in mir trage und es jederzeit ausleben kann. Ich darf Dinge, von denen ich denke, sie zu wissen, oder vielleicht sogar, sie besser zu wissen als andere, wieder verwerfen oder ihnen Neues hinzufügen. Ich darf auch die Dinge, die alltäglich oder »selbst-verständlich« scheinen, bewundern und neu entdecken.
Und ich darf das unbedarft und angstfrei tun. Sie hat keine Angst vor dem Unbekannten und keine Angst zu scheitern. Sie erinnert mich daran, dass es in Ordnung ist, Erfahrungen zu machen und aus ihnen zu lernen. Nach ihrer Ansicht gibt es keine Fehler sondern nur Raum zum Lernen. Sie ist wie sie ist. Ich bin wie ich bin. Ich bin hier um zu lernen, zu tanzen und zu glühen! Ich bin hier, um zu lieben, zu wachsen und zu blühen.

 

Lachen

 

Wild sein, frei sein, ungezügelt, ungefiltert, pur. An den Stellen, wo ich als Erwachsene darüber nachdenke, wie ich aussehe, wenn ich dieses oder jenes mache, oder was andere vielleicht dabei über mich denken könnten – hat sie schon lange den Sprung ins kalte Wasser gewagt, ihren Kommentar abgegeben oder die Zunge rausgestreckt. Sie macht einfach, setzt das um und durch, was sie will, geht einfach naiv vom besten aus und lässt wie selbstverständlich ihre inne wohnende Verrücktheit raus.
Sie ist eine Macherin.

Und manchmal geht es im Leben eben um Lachen und Blödsinn machen. Die kleine Swantje ist darin Meisterin. Sie spielt einfach. Und dabei meine ich kein Spiel, bei dem es ihr darum geht, einen Wettbewerb zu gewinnen oder ein Ziel zu erreichen, sondern ich meine dieses gedankenverlorene Verweilen in einer Zauberwelt, die keinen weiteren Sinn hat, als sich selbst – dieses Spielen, das sich »Sinn und Verstand« entzieht und mit ihrer Fantasie von dannen galoppiert. Sie tut die Dinge aus dem Inneren heraus und nur für sich selbst, »weil es Spaß macht« oder nur um des Tuns Willen. Sie hinterfragt sie nicht und sie sind in dem Moment des Tuns einfach »richtig« und gut so. Etwas anderes existiert gar nicht.
Einfach sein – ohne Regeln, ohne Grübeln, ohne Ziel. Tanzen, toben, Faxen machen und die Welt anlachen!

 

 

Lieben

 

Dieses kleine Wesen besteht im Kern aus purer Liebe, da bin ich mir ziemlich sicher. Liebe, mit der sie geboren wurde und die sie auch Zuhause erfahren hat. Sie verteilt großzügig Umarmungen und freut sich genau so, welche zu bekommen. Sie liebt es, wenn ihr jemand liebevoll über den Kopf streicht oder wenn sie behütet in einem Arm einschläft. Sie streichelt Tiere, rettet kleine Insekten vor dem Ertrinken, spricht mit Pflanzen und streicht mit dem Finger vorsichtig über die Blüten der Blumen. Sie liebt die Welt.
Dieses Vertrauen, die Offenheit und eine Art, die ich fast als eine optimistische Naivität bezeichnen würde, sind Dinge, an die sie mich immer wieder erinnert. Sie fragt, wann es endlich genug ist, bittet mich um Geduld und mehr Pausen und sagt, wenn es ihr zu viel wird oder sie nicht mehr kann. Sie sagt mir auch, wenn sie Dinge vielleicht gar nicht machen möchte und fängt dann an zu weinen.
Heute versuche ich, diesem Kind und somit mir selbst mit einem liebevollen Blick zu begegnen. Ich möchte ihr zuhören, geduldig mit ihr sein, ihr alles vergeben, bei dem sie sich noch schuldig fühlt, ihr erlauben, die Dinge zu tun, die ihr Herz will, und sie sehen, akzeptieren und lieben als den Menschen, der sie ist. Immer wenn mir das gelingt und ich sie sehe und spüre, merke ich, dass sich etwas in mir öffnet – wie eine Blüte, die die Strahlen der Sonne wähnt.

»Liebevoll« und das Gefühl, das diesem Wort innewohnt, war und ist für mich der Schlüssel zu einer inneren Umarmung. Einer Umarmung, die ich pflege und zu der ich mich immer wieder zurück besinnen möchte.