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Texte

Mein Herz will schreiben – und dafür bekommt es hier immer wieder Raum. Die Texte sind mir Spiegel, Ventil und Ausdruck. Ich wünsche viel Freude beim Lesen oder Hören.

Wo sind unsere alten Weisen und was wurde aus der Generationen-Symbiose?

 

Durch mein privates Umfeld werde ich gerade immer wieder daran erinnert, dass viele Menschen einsam sind – manchmal, obwohl sie ein großes soziales Umfeld haben, sich aber darin nicht verbunden fühlen, manchmal, weil sie einfach keine Menschen um sich haben.
Besonders fiel mir das kürzlich bei zwei älteren Menschen auf. Beide waren »Einzelbrödler«, über 80, jeweils geschieden oder getrennt lebend, zurückgezogen, kaum familiäre Kontakte. Es scheint mir zu erst so, als hätten sie kein Interesse an Menschen, als suchten und bräuchten sie die Einsamkeit. Im Kontakt und nach einer kurzen Auftauzeit zeigen sie sich allerdings aufgeschlossen und können gar nicht aufhören, aus ihren Leben zu erzählen – fast ein wenig so, als hätten sie all die Zeit, die sie alleine verbracht haben, darauf gewartet, dass endlich jemand kommt, um ihnen zuzuhören. Sie haben gemeinsam, dass sie sehr komplexe Persönlichkeiten sind, starke eigene Meinungen vertreten, sich Teilen der Gesellschaft abgewandt haben. Und ich möchte ihnen glauben, wenn sie sagen, dass sie es genau so wollen. Und gleichzeitig drängt sich mir beim Beobachten der Gedanke auf, dass auch sie sich tief im Inneren nach Verbindung sehnen. Ich nehme eigentlich an, dass alle Menschen das auf eine Art tun. Meine Vermutung ist, dass sie aus irgendeinem Grund nicht in die gesellschaftlichen Gefüge passten, ihnen Kompetenzen fehlten, verbundene Beziehungen aufzubauen, oder sie in ihren Leben voller Arbeit keine Kapazitäten frei hatten, ein soziales Netz zu weben. Vielleicht tragen sie auch emotionale oder seelische Wunden in sich, die ihnen Begegnung erschweren, haben schlechte Erfahrungen gemacht mit Menschen oder sind einfach nicht den richtigen Gegenübern begegnet. Heute fehlen ihnen nun vielleicht die Kontexte, in denen sie anderen begegnen, heute ist vielleicht die Hürde oder die Anstrengung zu hoch, neue Menschen kennenzulernen – oder sie haben resigniert und sich in ihre Einsamkeit gefügt.

Fakt ist: Menschen in ihrem Alter haben ein ganzes Leben gelebt. Sie haben teilweise stark bewegte Biografien und sind mitunter von Kriegen und Krisen geprägt. Sie sind durch verschiedenste politische, wirtschaftliche und teilweise geografischen Veränderungen gegangen, waren vielleicht verheiratet, vielleicht geschieden, haben Kinder bekommen und vielleicht auch verloren, sind gereist, haben gearbeitet, sich Häuser und Höfe und Leben aufgebaut. Sie haben einen Großteil ihres Lebens hinter sich und können zurückschauen und in einen sehr zeit-weiten Spiegel ihrer selbst blicken. Vielleicht haben sie einen größeren Erkenntnishorizont, vielleicht eine andere Ruhe und Gelassenheit in sich. Sie haben vielleicht Fragen gelebt und Antworten gefunden – und vielleicht ist in ihnen auch eine Weisheit erwachsen.
Natürlich bleibt das alles ein Vielleicht – denn jeder Mensch lebt ein anderes Leben. Nicht jeder alte Mensch hat all das erlebt, nicht jeder alte Mensch ist weise und auch hat Weisheit nicht zwingend etwas mit dem Alter zu tun. Gleichzeitig ist mir so, als wenn dieser Schatz von gelebter Lebenszeit von unserer Gesellschaft derzeitig nicht wirklich angemessen gehoben wird.

Es gibt sicherlich viele ältere Menschen, die in Familiensysteme oder Gemeinschaften eingebunden sind, dort mit ihrer Erfahrung wertgeschätzt werden und auch im Alter noch blühen können. Es gibt aber aus meiner Sicht auch einen nicht unerheblichen Anteil von alten Menschen, die eher vergessen scheinen – und nicht selten auch sich selbst vergessen. Überspitzt formuliert sitzen diese mit Gleichaltrigen in Pflegeheimen oder alleine in ihren Zimmern, Wohnungen und Häusern und warten darauf, dass das Leben irgendwann aufhört.
Mir ist wichtig, dass das nicht falsch verstanden wird: ich bin weder pauschal gegen das Alleine-Sein (im Gegenteil), noch gegen Pflegeheime, noch möchte ich Menschen kritisieren, die diese Institutionen für ihre Zugehörigen in Anspruch nehmen. Und trotzdem fühlt es sich für mich ein wenig so an, dass wir die Alten unserer Bevölkerung oft an den Rand setzen, statt sie in unserer Mitte zu integrieren.

Beruflich erbringen sie nicht mehr die Leistung, die es bräuchte. Sie sind eventuell weniger lernfähig, belastbar oder flexibel – und dann werden sie früher oder später »aussortiert«. Statt ermutigt zu werden, nach ihrer Neigung und in ihrem Maße weiter zu wirken, sich wirksam zu fühlen und so weiter teilzugeben und sich einzubringen, versinken Menschen irgendwann ab dem Renteneintritt oft schleichend in einem selbst-zentrierten Alltagstrott.
Persönlich finden wir sie mit zunehmendem Alter vielleicht wunderlich oder langweilig oder anstrengend oder grenzwertig. Vielleicht brauchen sie Pflege, Zeit und Raum, die wir nicht geben können. Vielleicht nehmen uns unsere eigenen schnellen Leben so voll und ganz ein, dass da kein Platz zu sein scheint für die Bedürfnisse, Langsamkeit oder Andersartigkeit einer alten Person. Wie auch im Kindesalter werden Menschen in einem höheren Alter auch wieder stärker fürsorge-bedürftig – ja manchmal ähneln sie Kinder sogar erschreckend stark in ihrem Verhalten oder ihren Bedürfnissen. Es braucht dann andere Menschen, die für sie Sorgen, ihnen Mahlzeiten zubereiten, sie in ihrer Körperpflege unterstützen, ihren Tag mit ihnen gestalten und ihnen eine möglichst hohe Selbstständigkeit ermöglichen. Wenn ich arbeite, selbst Kinder habe, selbst auf einer Ebene eingeschränkt bin oder andere Verpflichtungen habe, die mich einnehmen, kann ich all das selbstverständlich nicht leisten. Unsere gesellschaftlichen, politischen und auch wirtschaftlichen Strukturen machen es an vielen Stellen zum Drahtseilakt, diese Care-Arbeit in unserer Leben zu integrieren (ich kenne sogar Menschen, die darüber nachgedacht haben, keine Kinder zu bekommen, um stattdessen für ihre Eltern zu sorgen). Hinzu kommt, dass wir im Klein-Familienkonzept und in der Architektur unserer städtisch individualistischen Leben und Wohnräume teilweise gar keinen Platz mehr haben für die Großfamilie oder das Mehrgenerationen-Leben. Früher war es ganz normal, in größeren Gruppenverbänden zu leben und damit auch von den Stärken der unterschiedlichen Generationen zu profitieren: die Jüngeren geben ihre Energie und Unterstützung rein, die Älteren ihr Wissen und ihre Erfahrung – und das in einem bunten Spektrum von 1-100 Jahren. Aus meiner Sicht wohnt dem nicht nur Potenzial, sondern auch eine wahnsinnige Schönheit inne.

Natürlich muss die Verbindung zur älteren Generation gar nicht innerhalb unserer Familie stattfinden, sondern kann auch mit Fremden geschehen. Aber wenn ich mal kurz überlege: Wo in einem Durchschnittsleben berühren wir das Alter eigentlich? Alle paar Monate mal den Opa besuchen oder anrufen. Der älteren Person an der Kasse helfen, ihr Kleingeld aus dem Portemonnaie zu kramen. Die alte Frau auf der Bank mit den Tauben beobachten. Und das war’s dann auch schon wieder. Wo gibt es die Räume für Kontakt miteinander außerhalb von Familienfeiern, Pflichtbesuchen oder Zufallsbegegnungen? Wie sehr setzen wir uns ein für diese Menschen, die ihr ganzes Leben gelebt, geleistet und teilweise auch gelitten haben? Was braucht es in unseren Lebensstrukturen, damit wir sie statt als Belastung als die große Bereicherung sehen, die diese Menschen für uns sein können? Wie können wir die Verbindung wiederherstellen, die in der Kluft zwischen den Generationen verloren gegangen ist?

Im Moment kompensieren wir diese verlorene Verbindung oft in unserem Durst nach und Konsum von Wissen. Wir suchen Antworten und Sinn in unseren Leben, fragen uns, wie wir gute Entscheidungen treffen, unser Leben in den Griff bekommen und uns persönlich weiterentwickeln können. Wir buchen uns ein Seminar oder eine Ausbildung nach der nächsten – nicht selten bei Gleichaltrigen – und erhoffen uns dadurch vielleicht Orientierung und Sicherheit, die uns an anderer Stelle fehlt. Wir suchen Rat und Unterstützung bei künstlichen Intelligenzen statt bei den Dorfältesten unseres nicht vorhandenen Dorfes. Und wir absolvieren Online-Kurse, coachen uns alle gegenseitig und grünschnäblig mit irgendwelchen Techniken zum erfüllten Leben und versuchen dabei, Weisheit in den Warenkorb zu legen, statt diese im natürlichen Verlauf unseres Lebens erwachsen zu lassen. Ich will das keinesfalls pauschal verurteilen – aber doch einen kritischen Blick darauf werfen und mich fragen, wann wir uns eigentlich so sehr von unseren Wurzeln entfernt haben.
Auch hier möchte ich, dass das nicht falsch verstanden wird: Längst nicht alles an der älteren Generation ist gut. Je nach Kultur und Geschichte kann man definitiv sogar Gegenteiliges behaupten. Und alte Menschen sind nicht nur weise sondern definitiv manchmal auch stur, verschlossen, diskriminierend, rückwärtsgewandt oder resigniert. Alter ist kein Garant für konstruktive Ratschläge, gute Lehrende oder ethisches Handeln. Und Alter kann auch nicht immer gut mit den Herausforderungen der neuen Zeit umgehen. Man kann sicherlich noch viele Dinge sagen über das Alter, alte Menschen bewerten oder verurteilen, sie für die Vergangenheit verantwortlich machen oder für unsere Zukunft.

Ich möchte trotz alledem daran erinnern, dass Lebenserfahrung und generationsübergreifendes Lernen evolutionär gesehen uns allen als natürlicher Prozess innewohnt. Und wir können von ihnen nicht nur über das Leben lernen, sondern auch viel über das Sterben und über Verlust. Denn abgesehen von persönlichen Krisen gibt es wohl kaum einen Lebensabschnitt, in dem wir so viel loslassen müssen wie in diesem letzten. Und eines ist zumindest für einen Großteil von uns klar: irgendwann landen wir in dieser letzten Phase alle mal. Irgendwann werden wir alle alt.

Alles in allem glaube ich fest daran, dass wir Alter nicht als Defizit sondern als Ressource betrachten und diese wieder stärker in unsere Leben integrieren sollten. Ich frage mich: Wie würde eine Welt aussehen, in der wir nebeneinander leben und uns gegenseitig nähren? Was könnten wir alles bewirken, wenn wir nicht alle Fehler der vorherigen Generationen wiederholen, sondern ihnen zuhören und aus ihren Fehlern lernen würden? Wie viel altes Wissen und vergessene Weisheiten könnten wir erhalten, wenn wir es uns von den Alten überreichen ließen und es dadurch am Leben hielten? Und wie viel mehr Lebensqualität, Würde und Selbstwirksamkeit würden diese Menschen erfahren, wenn wir ihnen öfter in einer demütigen und integrierenden Haltung begegneten?
Ich rufe dazu auf, uns diese Fragen eindringlich zu stellen, ihnen nachzugehen und Antworten der Fürsorge und Teilhabe zu finden. Ich wünsche mir, dass wir die Welt, unseren Alltag und unsere Umgebung mit Augen und Herzen untersuchen, die offen sind für all jene, die von den Falten und dem Reichtum des Lebens gezeichnet sind. Ich wünsche mir mehr Wachsamkeit, Engagement und Zeit, diesen Menschen zu begegnen und in einen Dialog zu gehen – ganz gleich wie groß der Altersunterschied sein mag. Lasst uns diese Verbindung wieder kultivieren – wir brauchen sie mehr denn je an unserer Seite.

 

Foto von Serkan Göktay

Meine Schwangerschaft als Autorin

Ich bin schwanger – aber doch ganz anders, als es vielleicht klingt.
In der Schwangerschaft und bei der Geburt eines Kindes, geht es letztes Endes darum, ein neues Wesen aus sich heraus zu schöpfen. Nach der Befruchtung wächst erst ein Embryo und dann ein Baby heran und dieses wird nach grob neun Monaten in die Welt geboren. Dieser Vorgang ist ein schöpferischer Akt. Es entsteht etwas, es wächst etwas in einer Frau heran, das vorher noch nicht da war – ein Prozess voller Magie. Evolutionär gesehen ist dies unser Weg, uns fortzupflanzen und als Spezies Generation um Generation unseren Bestand zu wahren. Wir geben unsere Gene und mit ihnen unser Erbgut und unser Wissen weiter an die nächste Generation.
Ich habe kein Baby in meinem Bauch. Aber ich schreibe ein Buch. Und wie bei einem Baby auch, geht es für mich in dem Buch darum, etwas weiterzugeben. Genauer gesagt, gebe auch ich darin einen Großteil dessen weiter, was ich bin und was ich weiß – über meine Selbst-Ständigkeit, aber auch über das Leben, in das diese eingebettet ist. Die Weitergabe ist zwar in diesem Fall nicht genetisch verankert, aber manifestiert sich am Ende abgedruckt trotzdem in einer Art organischem Körper – nur statt aus Zellen besteht sein Inneres in diesem Fall aus Zeilen.

Nun ist diese Schwangerschaft natürlich in jeglicher Form eine etwas andere: ich bin weit über die neun Monate hinaus, ich habe keine Hormonumstellung oder körperlichen Symptome und ich bin durch das Buch auch nicht biologisch mit einem Mann verbunden.
Das mag vielleicht daran liegen, dass ich in diesem Fall nicht als Mutter, sondern als Schöpferin gebäre. Ich lebe diese schöpfende Kraft in meinem Beruf mit jedem Grafik- oder Webdesign, das ich anfertige, sehr stark aus – gleichzeitig habe ich noch nie etwas geschöpft oder ausgebrütet, das auch so viel mit mir selbst zu tun hat. Und auch wenn ich die Schwangerschaft hier vor allem als Metapher nutze, steckt in diesem Bild einiges an Wahrheit: Es braucht Geduld, Selbst-Fürsorge und innere Ressourcen, um den Schöpfungsprozess bis zur »Geburt« zu durchlaufen und das Buch wirklich am Ende gesund in die Welt zu bringen. Ich habe in meiner Vergangenheit schon viele Dinge auch längere Textstücke geschrieben, die nie das Licht der Welt erblickt haben und bereits vor der Geburt in mir oder einer Schublade geendet sind. Das ist traurig und manchmal aber einfach ein natürlicher Teil des Lebens.

Doch dieses Mal fühlt es sich anders an.
Von Anfang an wusste ich, dass es passieren will. Und ich spüre auch heute einen Drang von innen, dass es leben will und geboren werden will. Es hat manchmal fast eine Art Eigenleben: mal will es geschrieben werden und ich kann gar nicht aufhören, manchmal wiederum geht Tage lang gar nichts und ich muss auch das liebevoll aushalten. Manchmal weckt es mich morgens, als würde es in mir strampeln und sagen: hey, guten Morgen, vergiss mich nicht, ich bin auch noch da. Und manchmal streiche ich liebevoll über meine Tastatur, schaue mein Textdokument an und frage mich, wann es wohl so weit sein wird. Es ist gerade ein Teil von mir und ein Begleiter in meinem Leben.

Wenn ich noch etwas weitergehe, würde ich sogar sagen, dieses Buch ist gerade für mich ein Grund zu leben. Während ich grundsätzlich eine Gelassenheit und das Gefühl habe, es wäre in Ordnung, wenn ich morgen gehe und diesen Körper verlasse – einfach weil ich mich bis hierhin schon so dankbar und beschenkt fühle – merke ich, dass ich, seit dieses Buch heranwächst, den Wunsch hege, es auf jeden Fall in die Welt bringen zu wollen. Wüsste ich, dass morgen alles vorbei ist, wäre es neben dem Fakt, liebe Menschen in Trauer zurückzulassen, mein größter Schmerz, dieses ungeborene Buch mit in den Tod zu nehmen. Dieses »Baby« verbindet mich also sehr stark mit einem Lebenssinn.

In dieser Phase des Manuskriptes glaube ich an einem Punkt anzukommen, der mehr Präsenz von mir fordert. Während ich das Schreiben am Buch bisher irgendwie in meinen Alltag integriert habe, fühle ich gerade, je weiter es wächst, den Wunsch, mich aus immer mehr meiner anderen Arbeiten, Projekte, sozialen Aktivitäten und Beziehungen herauszuziehen und ihm einen Großteil meiner Aufmerksamkeit zu geben. Und so wird es vielleicht bald eine Veränderung in meinem Umgang mit dieser Schwangerschaft geben – und ich werde einen Weg finden, dafür ausreichend Zeit, Raum und Geld freizumachen.

Neben dem wachsenden Manuskript bekomme ich Nestbau- (beziehungsweise Website-Bau)-Gefühle, möchte etwas Kontext geben und die Umgebung vorbereiten, in die es gut hineingeboren werden kann. Ich möchte, dass da ein Kreis an Menschen ist, die es begrüßen, wenn es so weit ist – in meinem Newsletter, bei einem Crowdfunding und einer physischen Feier. Und ich werde so einige Menschen brauchen, die mich auf dem Weg dahin begleiten. Denn selbst wenn das Manuskript irgendwann fertig ist, will es noch lektoriert, mit Grafiken versehen und gelayoutet werden, in einer tollen Druckerei gedruckt und natürlich auch bekannt gemacht und unter die Menschen gebracht werden – und das schaffe ich meinem Wunsch des Selbstverlages entsprechend zwar selbst-organisiert, aber definitiv nicht alleine.

So bleibt es weiterhin eine spannende Reise, auf die ich euch gerne mitnehme. Ich freue mich über jeden Menschen, den ich in Zukunft über meinen Newsletter zur ganzheitlichen Selbst-Ständigkeit erreiche und lade euch herzlich ein, ihn hier zu abonnieren:

Über die Zukunft

Die Zukunft ist ein Ort,
den wir nie erreichen werden.
Versuchen wir, sie zu berühren,
wandelt sie sich sogleich,
zu der unmittelbaren Erfahrung
des gegenwärtigen Moments.

Sie ist ein Zuhause
für die Träume, die noch nicht bereit sind,
von uns gelebt zu werden,
und darauf warten, dass wir ihnen
bei der nächsten Berührung
mit unseren Taten Leben einhauchen.

Sie ist die Heimat,
aus der unsere Hoffnung kommt.
Und zugleich wird sie ihr Grab,
sobald wir aufhören, an sie zu glauben.
Dann verendet sie, noch bevor ihre Erfüllung
ihren ersten Atemzug nimmt.

Sie ist die Mutter
jedes Tages, den wir erwachen,
und jedes Schlages, den unser Herz tut,
denn ohne sie würden auch wir
schon im nächsten Augenblick
einfach aufhören zu existieren.

So ist die Zukunft eine Quelle
voller schillernder Versionen
des nächsten gegenwärtigen Momentes,
voller ungeborener Möglichkeiten,
voller unendlicher Hoffnung,
und voller ungewissen Lebens.

Es ist ihr Geschenk an uns,
in Fülle aus ihrem Gefäß
schöpfen zu dürfen und daraus
bewusst oder unbewusst
die Welt von morgen
im Hier und Jetzt zu erschaffen.

8 Jahre selbstständig. Und nun?

Im April vor ca. 8 Jahren habe ich mich im letzten Semester an der Akademie für Kommunikationsdesign selbstständig gemacht. Das war aufregend und für mich der Start einer längeren Reise.
Wenn ich heute auf diese Anfangszeit zurückblicke, erkenne ich vieles, das damals nicht gesund war. Ich habe mich maßlos überarbeitet und überfordert, war nicht gut verbunden mit mir und auch die Selbstständigkeit war eines von einer Menge Projekte, die in ihrer Summe auf jeden Fall zu viel waren. Am Ende meines Abschlusssemesters kippte ein Schalter um und ich fiel in eine tiefe Erschöpfung. Mit dem Abschluss in der Tasche löste ich mich von meinem kompletten bisherigen Alltag und Leben, beendete meine Partnerschaft, zog zurück in meine Heimat und ging in eine Art Notstrommodus.
Seitdem sind etliche Dinge und Entwicklungsstufen passiert: ich begann eine ganze Zeit später eine Therapie, um mich mit meinen Mustern der Überarbeitung auseinanderzusetzen, ging auf Reisen, visionierte, wie ich arbeiten wollte, und baute mir nach und nach ein kleines Ökosystem auf, innerhalb dessen ich mit ökologischen und sozialen Unternehmen an deren Außenauftritt arbeiten konnte. Nach und nach veränderte sich meine Art zu arbeiten, Zusammenarbeit fand immer mehr beziehungsorientiert statt, ich wählte Auftraggebende nach meinen eigenen Werten aus, achtete darauf, dass ich in Einklang mit meinen Ressourcen und Bedürfnissen arbeitete und sammelte immer mehr Erkenntnisse zu den inneren und äußeren Bedingungen und Prozessen, die mir dabei dienlich waren.

2020 lebte ich spontan einige Monate nördlich vom Bodensee. Dort spürte ich einen klaren Impuls, all die Erfahrungen und Beobachtungen, die ich gemacht hatte, zu verschriftlichen. Und so betrat ich einen neuen Pfad.
Heute, drei Jahre später, weiß ich, dass ich damals anfing, mein Buch zu schreiben. Dieser Prozess dauert bis heute an – ich bin immer noch am Schreiben und freue mich, hoffentlich bald den letzten Teil zu verfassen. In dem Buch geht es einerseits um all meine Erfahrungen mit der Selbstständigkeit, zum anderen aber vor allem darum, wie wir selbstständig sein können und dies gleichzeitig auf eine gesunde, verbundene und organische Art und Weise tun können.

Ich beschreibe mich und uns als selbstständigen Organismus mit all den inneren Themen, die in der Selbstständigkeit eine Rolle spielen, teile Beobachtungen zu Rahmenbedingungen wie zyklischen Zeitqualitäten, räumlichen Begebenheiten, Orientierung und Struktur, suche Antworten auf die Frage, wie ein verbundenes symbiotisches Zusammen-Arbeiten funktionieren kann, und gehe den Themen von Geldprozessen, Energieausgleich und einer übergeordneten Balance auf den Grund.

Ich tue das neben meinen normalen Projekt-Jobs, neben ehrenamtlichen Tätigkeiten, den wundervollen nährenden Beziehungen, in denen ich mich bewegen darf, und neben dem Leben, was dann unerwartet meistens auch noch ein paar lustige Überraschungen bereit hält. Es war die letzten Jahre also eher eine Nebentätigkeit, brachte mich dabei in viele Prozesse und braucht am Ende einfach jede Menge Zeit, in der ich all die Zeilen aus mir heraus ernten kann. Und es wird auch im weiteren Verlauf ein Balancieren und Jonglieren sein, das Schreiben und auch die anderen Teile meines Lebens und Alltags miteinander zu vereinbaren.

Die Reise geht also noch ein Weilchen weiter, bis dieses Buch geboren ist. Und ich freue mich, wenn ihr mich auf diesem Weg begleitet. Ich werde dazu nicht über diesen Newsletter weiter kommunizieren, sondern habe einen eigenen Mail-Verteiler dafür angelegt. Dort werde ich in größeren Abständen einen Einblick in meinen Prozess mit dem Buch geben, vielleicht schon mal die ein oder andere Erkenntnis aus der Selbstständigkeit teilen, Fragen zur Reflexion öffnen und euch sicherlich an der ein oder anderen Stelle mal nach eurer Meinung fragen.
Ich teile das an dieser Stelle vor allem mit euch, weil ich euch an meiner Seite brauche. Immer wieder mal komme ich an Punkte, an denen Selbstzweifel auftauchen oder der Prozess mir unfassbar viel Geduld abverlangt, und es hilft mir dann tierisch, eine Gruppe von Menschen zu haben, die mich supporten und ein Stück des Weges mit mir gehen.
Ich freue mich also riesig, wenn ihr an meiner Seite bleibt und euch in den neuen Newsletter eintragt:

Wir hören uns dann hoffentlich ganz bald im ersten »Ganzheitlich Selbstständig«-Newsletter.
Danke, dass ihr da seid, und alles Liebe,
Swantje

Ein Monat ohne digitale Kommunikation

Ende letzten Jahres kam mir die Idee zu einem kleinen Experiment: Ich wollte meine Kommunikation im ersten Monat des neuen Jahres radikal verlangsamen, sie aus der virtuellen Welt heraus holen und ein Stück weit in jene Zeit reisen, bevor es Telegramme gab. Das bedeutet: keine Chats, keine Mails, kein Telefonieren – stattdessen nur noch Briefe oder persönliche Treffen. Ich erhoffte mir davon, zu spüren, wie sich Kommunikation in meinem Leben normalerweise auswirkt und welche Qualität von Kommunikation mir gut tut.

Das Experiment begann deutlich früher, als ich mir zuerst ausgemalt hatte. Zu erst brauchte es nämlich etwas Vorbereitung. Ich lebe ein Leben, das in Verbindung und Kontakt mir sehr vielen Menschen verläuft. Zusätzlich gehe einer Arbeit nach, die sowohl Kommunikation gestaltet als auch jede Menge digitale Kommunikation benötigt. Und dafür bin ich gleichermaßen dankbar. Die digitale Vernetzung und die unterschiedlichsten Kommunikationsmedien haben mir viele Jahre und bis heute ermöglicht, von überall aus zu arbeiten und auch auf langen Reisen in Kontakt mit verschiedenen sozialen Umfeldern zu bleiben. Ich war dabei – außer mal für 10-tägige Meditations-Retreats – eigentlich immer innerhalb weniger Stunden oder Tage erreichbar. Um mich für einen Monat aus den üblichen Kanälen raus zu ziehen, ohne dabei Auftraggebende zu verlieren oder große Irritationen oder Sorge bei Menschen auszulösen, beschloss ich, möglichst vielen dieser Menschen Bescheid zu sagen. Das war ein wenig Arbeit und Vorbereitung, funktionierte aber im Großen und Ganzen ganz gut.

Und dann kam der 31. Dezember, der letzte Tag der Kommunikation. Meine Kommunikations-Apps und -Programme am Laptop hatte ich bereits mittags vorsorglich geschlossen, sodass sie mir bei erneutem Öffnen oder Anschalten nicht entgegen schreien würden. Pünktlich kurz vor Mitternacht schaltete ich auch mein Telefon aus. Ich wusste es noch nicht, aber ich würde es die nächsten drei Tage nicht einmal in die Hand nehmen. Es gab also keine Neujahrswünsche oder -nachrichten außer von jenen, denen ich persönlich begegnete.

Am ersten Tag fühlte ich jede Menge Lücken in meinem Tag, die dadurch entstanden, dass ich all die Impulse bemerkte, in denen ich zu meinem Telefon greifen wollte, um zu sehen, ob mir jemand geschrieben hatte. Das waren wirklich viele Momente: wenn ich nach Hause kam oder mich auf den Weg irgendwohin machte, wenn ich von einer Tätigkeit zur nächsten wechselte und auch wenn ich zwischendurch mal Leerlauf hatte. Auch dachte ich immer wieder an bestimmte Menschen, denen ich etwas sagen oder die ich etwas fragen wollte, Termine, die ich gerne abstimmen würde oder wie es wohl dieser oder jener Freundin gerade ging. Auch fiel mir viel stärker auf, wie viel die Menschen, die mich umgaben, zwischendurch über ihre Handys kommunizierten. Ich empfand schon diesen ersten Tag als unfassbar friedlich und hatte das spontane Gefühl, nie wieder in den digitalen Kommunikations-Dschungel zurück zu wollen. Es war so viel stiller in mir.

Auch am zweiten Tag nahm ich das Handy nicht in die Hand. Ich hatte es mir zwar nicht verboten, das Handy für Navigation, Notizen, Aufgaben, Fotos, die Kalenderfunktion oder ähnliche Zwecke zu nutzen, aber ich brauchte es in dieser Zeit einfach nicht. Spontan verzichtete ich auch auf mein Navi, um mit dem Auto eine Route zu finden, die ich noch nicht kannte – und fand sie.
Ich verbrachte den Tag ruhig, mit Menschen vor Ort und nachmittags zu Hause. Ich schrieb meinen ersten Brief und fing nach zwei Seiten an zu weinen vor Glück. Ich war voll im Moment, im Hier und Jetzt, fühlte mich so sehr bei mir und so wenig verstreut in all den Chats und Mails, all den offenen Kommunikationsfäden und Dingen, an die ich denken wollte. Ich war einfach nur da und genoss die Langsamkeit, mit der ich mich der Verbindung durch den Brief widmete.

Den dritten Tag verbrachte ich fast komplett allein zu Hause, nur unterbrochen von einem Spaziergang in der Sonne. Ich schrieb den halben Tag und fühlte mich sehr ruhig und entspannt. Es gab allerdings eine Information, die ich aus einer E-Mail brauchte, welche ich mir vorher nicht raus gespeichert hatte, und dafür musste ich den Posteingang öffnen.

Ich schob dieses Event vor mir her und hatte Angst, meinen inneren Frieden damit zu brechen, aus Versehen E-Mails zu sehen, die ich gerade nicht sehen wollte oder mich zu konfrontieren mit Informationen, die mich aus der Ruhe bringen würden. Während ich mein Mailprogramm öffnete und das Programm noch am laden war, merkte ich, wie mein Nervensystem hochfuhr, mein Herz etwas schneller wurde. Es waren bereits 60 Mails in meinem Postfach – vermutlich eine Mischung aus Arbeit, verschiedensten Projekten, in denen ich aktiv bin, Newslettern, persönlichen Neujahrsgrüßen und Werbung oder Spam. Ich blieb zielstrebig bei der Information die ich suchte und schloss es sogleich wieder. Ein aufregender Ausflug, der mir bereits sehr viel spiegelte und schon nach zwei-einhalb Tagen verdeutlichte, was die bloße Anwesenheit der Kommunikationsflut mit einem entspannten System macht. Auch diesen dritten Tag blieb das Handy aus.
Ich werde ab nun versuchen, hin und wieder ein paar Beobachtungen festzuhalten.

Tag 7:
Gestern habe ich mein Handy einmal angeschaltet, um ein Foto auf meinen Rechner zu speichern. Nach wenigen Minuten habe ich es wieder ausgeschaltet. Erneut musste ich einmal an mein Mail-Postfach – 150 Mails mittlerweile. In den vergangenen Tagen hatte ich einen Brief und eine Nachricht in meinem Briefkasten und habe bereits mehrere längere Briefe verschickt.

Tag 16:
Ich liebe dieses Experiment – alles an ihm. Ich werde mir so vieler Dinge bewusst: Wie viel Zeit meines Lebens ich normalerweise in irgendwelchen Kurznachrichten verbringe, wie viele Menschen um mich herum kontinuierlich am Handy hängen, wie viel mehr Qualität in langsamer und persönlicher Kommunikation zu finden ist und wie tief die Sucht nach Dopamin und die daraus entstandenen Muster mir im Körper sitzen. Als ich mir eine Adresse aus einer SMS heraus suche und das SMS-Fenster danach schließe, schnellt mein Finger wie in einem Automatismus direkt als nächstes auf Telegram. Ich erschrecke mich fast ein wenig. Weder wollte ich Telegram öffnen, noch habe ich darüber nachgedacht. Und immer noch beobachte ich in den verschiedensten Situationen automatische Impulse, bei denen ich zum Handy greifen will: Wenn ich auf etwas oder jemanden warte, wenn mein Gegenüber den Raum verlässt, wenn ich den Raum wechsle, wenn ich mich auf den Weg mache oder irgendwo ankomme, wenn ich eine Pause mache – fast jede »Lücke« zwischen dem Tun scheint einen Handy-Check einzuladen. Es gibt schließlich immer irgendeine offene Unterhaltung oder neue Nachricht, auf die man in einer ruhigen Minute noch mal antworten wollte. Das ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Und gleichzeitig fühle ich die Impulse dadurch, dass sie ins Leere laufen und stattdessen ein kleines Nichts entsteht, umso stärker.

Tag 17:
Ganz unabhängig von der Kommunikation merke ich, dass ich einen tiefen Frieden empfinde, je weniger Zeit ich mit digitalen Medien verbringe. Ich kann mich viel besser fühlen, kann meinen Körper besser fühlen und das, was mir gut tut. So gehe ich mehr spazieren als sonst und habe auch angefangen, abends eine kurze Yin-Yoga-Session vor dem Schlafengehen einzubauen – Zeit die ich sonst vielleicht mit Telefonieren oder Nachrichten-Schreiben verbringe.
Ein anderer Gewinn dieses Monats ist das Briefe-Schreiben.

Einen Brief zu schreiben, hat seine ganz eigene Magie. Ich nehme mir dafür Zeit, setze mich hin und denke darüber nach, was ich dem Menschen sagen will. Es dauert, bis der Brief sein Ziel erreicht und es dauert auch, bis eine vermeintliche Antwort mich erreicht – es macht also Sinn, sich auch Zeit für den Inhalt zu nehmen. Und ich stelle fest, dass es viele Menschen gibt, denen ich Dinge sagen möchte, die genau in dieser Langsamkeit zur Geltung kommen. Mal geht es um sehr emotionale Themen, um Konflikte oder Spannungen, um Traurigkeit oder um tiefe Freude, Liebe und Schönheit. Mal geht es um die Aufarbeitung der Vergangenheit, mal um die Perspektive für die Zukunft, mal auch einfach nur darum, mich so zu zeigen, wie ich gerade bin. Und ich genieße das Schreiben. Nicht nur, weil ich Schreiben an sich schon genieße, sondern weil ich mir Zeit nehme, das aufzuschreiben, das in der jeweiligen Beziehung wirklich gesagt werden möchte.

Tag 26:
Ich habe mich mittlerweile sehr daran gewöhnt, mein Handy die meiste Zeit des Tages ausgeschaltet in einer Schublade aufzubewahren. Es ist verrückt, für wie viele Dinge des alltäglichen Lebens – ganz abseits von Kommunikation – ich meine E-Mails und mein Handy sonst noch so benutze: Um irgendwo einen neuen Account anzulegen, um ein Passwort wiederherzustellen, um eine Überweisung zu machen, um eine Route zu navigieren oder ein Zugticket zu buchen.
Ich merke außerdem, dass auch die sozialen Medien Instagram, Facebook und CO mir so gar nicht fehlen. Zwar habe ich diese auch in den vergangenen Monaten ohnehin schon sehr selten geöffnet, in diesem Monat aber habe ich noch einmal gemerkt, wie sehr ich sie nicht brauche und wie unproblematisch und entspannend es sein kann, weniger von anderen Privatleben, Organisationen oder von der Welt mitzubekommen.

Tag 31:
Der vermeintlich letzte Tag dieses Experiments nähert sich dem Ende und er war voller gemischter Gefühle. Auf der einen Seite freue ich mich riesig darauf, morgen all die Nachrichten zu lesen, die in dem Monat in Form von Mails oder Nachrichten vermutlich aufgelaufen sind und die teilweise nun schon eine ganze Weile auf ihre Beantwortung warten. Ich habe Lust, mit Menschen zu kommunizieren, und ich habe einige Impulse für Nachrichten, Dinge, die ich organisieren möchte, Termine, die ich absprechen möchte. Da sind jede Menge Energie und eine Lebendigkeit in mir. Gleichzeitig ist da auch Angst. Angst, dass ich zurückfalle in die Muster, die ich mir über so viele Jahre unterbewusst angeeignet habe. Angst, dass ich mich unbemerkt direkt wieder anpasse an die schnelle Welt, an die hohen Text-Frequenzen und an die flacheren Gewässer des kurz angebundenen Austauschs. Und dann ist da natürlich eine Traurigkeit, dass diese Zeit, in der es so viel stiller war, sich nun ihrem Ende nähert.

Mein Wunsch ist es, die Dinge, die ich erkannt, die neuen Routinen, die ich genährt und den inneren Frieden, den ich erfahren durfte, auch mit und innerhalb der digitalen Kommunikation und Arbeit weiter zu kultivieren. Ich möchte achtsam sein mit der Errungenschaft des Abstands, den ich geschaffen habe, und dem Geschenk der erlebten Reduktion.

Mein kleines aber schwer wiegendes Fazit: Ich habe viel gelernt, wenig vermisst, mehr gespürt, eine große innere Präsenz erfahren und die Kommunikation zu mir selbst gestärkt. Und ich bin für so vieles in dieser kurzen Zeit dankbar: für all die Menschen, die diese vermeintlich verrückte Auseinandersetzung liebevoll mitgemacht haben, die spontanen Besuche, die ich empfangen durfte, die lieben Karten und den Brief, die ihren Weg zu mir gefunden haben, all die interessanten und bekräftigenden Gespräche, die ich zu diesem Thema in der Zeit hatte, und zuletzt für die Magie, die durch das Leben im Hier und Jetzt passiert.

Mir ist außerdem gerade sehr bewusst, dass das Experiment heute nicht vorbei geht, sondern dass nun die zweite und fast noch wichtigere Schwellenzeit folgt. Es ist die Zeit – ähnlich wie am Anfang –, in der ich den Kontrast spüre von dem einen Zustand zum anderen. Es ist aus meiner Sicht immer das Zurückkehren, dass mir vor Augen führt, wie ich mich auf einer Reise verändert habe. Und genau auf dieses Zurückkehren bin ich neugierig. Wie wird es sich anfühlen, die 700 Mails und die etlichen anderen Nachrichten zu lesen und zu beantworten? Mache ich das alles auf einmal oder Stück für Stück? Gehe ich direkt wieder in eine Geschwindigkeit oder mache ich langsame und kleine Schritte? Welche Konsequenzen ziehe ich aus meinen Erkenntnissen? Was darf gehen und was darf bleiben? Werde ich die Wahl meiner Kommunikationsmedien und die Frequenz, den Inhalt und die Art und Weise meiner Kommunikation nachhaltig verändern?

Es bleibt also noch eine Weile spannend – ich trage aber das Gefühl in mir, dass sich etwas in mir bewegt hat, das auch langfristige Auswirkungen auf mein Leben hat. Es fühlt sich ein bisschen an wie der Beginn einer neuen Zeit.

Re-Owning my Blood

Ich möchte über ein Thema schreiben, das den meisten geläufig ist, aber nicht allen vertraut. Es bewegt den Körper und den Alltag jeder Menge Menschen – mal als Einschränkung, mal als Geschenk und mal als Startpunkt für ein neues Leben.
Ich spreche vom weiblichen Zyklus und dem Blut, das einmal im Monat meinen Körper verlässt. Knapp die Hälfte unserer Weltbevölkerung blutet mit mir. Man möchte also meinen, es sei das normalste der Welt. Aber aus meiner ganz persönlichen Erfahrung und meinem Wissen über unsere Welt ist es das (noch) nicht – zumindest nicht für alle. Und genau aus diesem Grund möchte ich dazu ein paar Worte sagen und ein bisschen was erzählen.

Mein Bezug zum Thema fing schon im jugendlichen Alter von ca. 13-14 Jahren an. Schon als junge Mädchen steckten wir uns kichernd und heimlich Tampons zu. Im Sportunterricht auszufallen, weil man »seine Erdbeerwoche« hatte, wurde schnell von anderen mit Augenrollen kommentiert und ich erinnere, dass sich einige Mädchen stattdessen lieber krank meldeten. Den Jungs war das Thema dabei eher fern, mysteriös und mit Fremdscham behaftet. Und natürlich konnten weder die kleine eher peinlich empfundene Einheit Sexualkunde noch die sporadischen Aufklärungsversuche untereinander daran etwas ändern.
Auch in der heutigen erwachsenen Berufswelt gibt es vermutlich viele menstruierende Menschen, die mit PMS, Krämpfen oder anderen von ihrer Blutung ausgelösten Beschwerden eigentlich nicht arbeitsfähig sind und dies aus verschiedensten Gründen nicht offen oder frei kommunizieren können. Was die Männerwelt angeht bzw. generell alle Menschen, die nicht menstruieren, so treffe ich auch dort und in fortgeschrittenem Alter häufig auf Unwissen, Schüchternheit oder Schweigen. Bisher habe keine Frau mit ihnen so offen darüber gesprochen, es groß thematisiert oder ihnen ihr Blut gezeigt. Es sei ja für sie auch nicht so relevant.
Und das Gefühl kann ich gut nachvollziehen. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass es hochrelevant ist. Unser Blut ist nicht bloß etwas, das hinter verschlossenen Klotüren und in unserem Privatleben eine Bedeutung hat, sondern es ist aus meiner Sicht ein Thema, das zum einen gesellschaftlich und kulturell unser Miteinander beeinflusst und zum anderen hoch politisch ist.

Die Periode der Frau hat historisch gesehen nicht nur zu gesellschaftlicher Ächtung geführt, sondern auch zum Ausschluss oder Einschränkung vom Berufsleben. Hinzu kommen eine finanzielle Benachteiligung und teilweise die Gefährdung der Gesundheit durch für manche Menschen unerschwingliche Periodenprodukte und Hygiene-Artikel.
Der Fakt, dass wir überhaupt das Wort »Hygiene-Artikel« benutzen, macht einen weiteren sehr essenziellen Aspekt auf. Die Bezeichnung deutet nämlich an, dass wir uns wenigstens sprachlich in der Annahme befinden, dass die Blutung der Frau etwas »Schmutziges« ist. Auch Ekel nehme ich zusammenhängend damit oft wahr. Und vielleicht geht es dabei gar nicht mal unbedingt immer um Menstruationsblut, sondern um Blut im Allgemeinen: Manche Menschen können kein Blut sehen, andere wollen es nicht berühren und blutige Stellen am Körper oder Blutflecken in der Kleidung können dazu führen, dass Mitmenschen auf Abstand gehen. Das ist etwas paradox, wenn wir uns vor Augen führen, dass Blut so etwas wie die Essenz unseres (Über-)Lebens ist. Eigentlich sollte es also eher etwas Heiliges als etwas Tabuisiertes sein.

In einigen Kulturen geht dieses Tabu so weit, dass Frauen während ihrer Periode in so genannte Menstruationshütten geschickt werden, um in der Zeit, in der sie »schmutzig« sind, andere damit nicht zu behelligen oder zu verunreinigen. Das kann abgesehen von der gesellschaftlichen Abwertung und damit psychologisch starken Belastung für die Frauen aufgrund von mangelnder Ausstattung, Versorgung und Sicherheit dieser Hütten lebensgefährlich sein.
Dabei sind der weibliche Zyklus und die damit verbundenen Prozesse verantwortlich dafür, dass wir als Individuen und als Menschheit überhaupt erst geboren wurden. Alles, was sich also dagegen richtet oder unser Bluten abwertet, richtet sich aus meiner heutigen Sicht eigentlich gegen das Leben selbst.

Wenn ich aber über kollektive Themen spreche, bin ich selbst die erste, bei der ich mit meiner Betrachtung oder Reflexion anfangen sollte. Auch ich habe lange gebraucht und bin nach wie vor im Prozess, die Jahre lang konditionierten Verhaltensweisen, Aussagen und Gefühle, die mit meiner Monatsblutung zusammenhängen, neu zu verfassen. Ich habe so oft in diesem Leben schon Scham empfunden, wenn es um mein Blut oder den Umgang damit ging, bin so oft in Unterhaltungen oder in alltäglichen Abläufen um das Thema herum getänzelt und habe etliche kleine Vermeidungsstrategien angewendet, um nicht in die Konfrontation zu gehen. Das hat dazu geführt, dass es Zeiten gab, in denen auch ich selbst mich vor meinem Blut und diesem Teil meines Körpers geekelt habe. Wenn ich früher Tampons wechselte, wanderten diese, so schnell es ging, in eine dafür vorgesehene Tüte oder ein Stück Klopapier. Im Schwimmbad schämte ich mich, wenn das Bändchen des Tampons aus dem Bikini rausschaute. Und auch in intimen Beziehungen und im sexuellen Kontakt wurde ich einige Male mit Ekel, betretenem Schweigen, aktiver Ablehnung oder Distanz konfrontiert, wenn die Begegnung an einem der entscheidenen fünf Tage stattfand. Ab einem gewissen Punkt wurde die Phase der Blutung so zu einer Zeit, in der ich mich automatisch aus dem intimen Kontakt zurückzog oder auf Abstand ging.
Die Reaktionen anderer Menschen und die Erfahrungen, die ich in meinem Alltag machte, bestimmten also maßgeblich, wie ich selbst diesen Aspekt meines Körpers wahrnahm. Auch wenn ich in einem sehr offenen Elternhaus großgeworden bin, überwogen und prägten mich vor allem diese Eindrücke des gesellschaftlichen Umgangs, des öffentlichen Raums und den sozialen Gefügen und Beziehungen, in denen ich mich bewegte.

Der Wandel hin zu einem offenen und verbundenen Umgang mit dem Thema hat einige Jahre gedauert und findet immer noch statt. Mein Blut wirklich wirklich angesehen habe ich mir damals zum ersten Mal, als ich anfing, eine Menstruationstasse zu benutzen (die Tasse sammelt das Blut noch im Körper und wird mehrere Male am Tag ausgeleert). Es ist rot – Achtung, nicht wie in einigen Werbeblöcken für Periodenprodukte hellblau – und dabei mal dunkel, mal heller, mal bräunlich, meistens schleimig und manchmal klumpig. Jap, ich nehme kein Blatt mehr vor den Mund.
Wenn ich das Blut heute an meinen Händen habe und seine Bedeutung spüre, verbindet mich das mit dem Ursprung des Lebens. Es ist die Materie, es sind die Zellen und die Nährstoffe, aus denen bei einer Befruchtung ein Embryo und damit neues Leben entsteht. Es ist eigentlich ein Wunder der Natur und ein Grund zum Feiern! Und ich möchte damit nicht die Menschen abwerten, die nicht menstruieren, sondern lediglich diesen faszinierenden Prozess wertschätzen und ihm eine Bühne geben.
Es hat etwas unfassbar Kraftvolles, den Zugang zu diesem Teil meines Körpers wiederzufinden. Mit jedem Schritt, den ich in diese Richtung mache, habe ich das Gefühl, dass ich weniger auf das reagiere, was mir die Außenwelt an Geschichten dazu erzählt. Ich erobere das Gefühl zurück, dass mein Blut und mein Umgang damit mir gehören und dass ich meine eigene Geschichte dazu erzählen kann. Es ist fast ein wenig so, als würde ich mir selbst damit etwas meiner Weiblichkeit vor allem aber meiner Menschlichkeit zurückgeben.

Warum ich dieses blutige Thema hier in aller Öffentlichkeit ausbreite? Für mich ist dieser Text und seine Veröffentlichung Teil eines persönlichen und kollektiven Prozesses hin zur Normalisierung – auch wenn es mich nach wie vor Mut kostet. Ich habe seit einigen Jahren stetig mehr Frauen in meinem persönlichen Umfeld, die sich wieder mit ihrem Zyklus und seinem Einfluss auf unser Leben beschäftigen. Vor etwa einem Jahr habe ich an dem drei-monatigen Zyklus-Kurs Know Your Flow bei Ruby May teilgenommen und bin noch einmal viel tiefer eingetaucht in die Welt der Weisheit unseres Unterleibs. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ich stelle freudig fest, dass es eine wachsende Zahl solcher Angebote gibt – Angebote, die uns Wissen an die Hand geben, uns unterstützen, eine Wiederverbindung zu unseren Körpern und miteinander herzustellen, und uns Inspiration spenden, zyklische Achtsamkeit in unser Leben zu integrieren. Da sind dann Fragen wie: Was braucht mein Körper in den einzelnen Phasen meines Zyklus und wie kann ich ihn dabei unterstützen? Wie erlebe ich mich selbst in den unterschiedlichen Zeiträumen? Welche Gefühle fühle ich und wie interagiere ich mit meinen Mitmenschen? Wie kann ich die Qualitäten der hormonellen, energetischen und emotionalen Reise so nutzen oder integrieren, dass sie mir dienen? Wie finden meine emotionalen und körperlichen Bedürfnisse einen Platz in unserer Welt, wie sie heute ist und funktioniert? Oder andersherum: Wie können wir einen Kulturwandel unterstützen oder Räume gestalten, sodass wir mit allem da sein können, was wir gerade sind und brauchen?

Ich hoffe, mit diesem Text dazu beizutragen, dass diese Fragen sich ein Stückchen weiter verbreiten und das Thema ein paar Zeilen mehr Sichtbarkeit in der Welt erlangt.
Und vielleicht begegnest du dem Thema – falls du es nicht eh schon tust – das nächste Mal, wenn du einen Berührungspunkt hast, mit einer Offenheit und Neugier. Vielleicht erinnerst du dich dann an diesen Artikel. Vielleicht kannst du dich im Bezug auf das Thema beobachten und vielleicht erlebst du am Ende eine neue Erfahrung oder eine verbindende Begegnung – mit dir selbst oder einem anderen Menschen.

Santa Mama

I want to talk about
this big old white man
that we all know,
who seeks his way
through night and snow,
to bring us gifts and joy
like a light flash passing by
and greeting us with Ho-Ho-Ho.

God-like we praise him.
His existence is built on the child
who believes in his magic,
in his all-knowing might.
Believing that he knows what is true,
and that he knows what is right,
obeying his moral
full of admiration and fright.

With his book full of data,
full of all that he tracked,
he is judge for the young ones,
for how they say things and
act,
giving them a treat or the rod
for how well they fit into,
the system we built,
full of shame, fear and guilt.

So we’re planting the picture
of the white man in power
in their imagination right from the start
and they strongly believe in this immortal hero
till they find out the lie,
feeling broke in their heart.
And whilst the magic of Christmas fades away,
the patriarchal ideas within them stay.

So I am asking,
having been a child once myself:
Why are the women in this story
just a »pretty angel« or an elf?
Where are the heroes that resonate with me?
Where’s the hero that a girl wants to be?
Why are the pictures of woman in red,
so often lying in dessous on a bed?

Santa Mama, this year I wish for you.
Be with us Christmas and the future to come.
Bring us your sack full of feminine home.
I want all the stuff, which for many is new:
Unwrapping vulnerability,
revealing pain and fragility,
weakness as no disability.
The gentleness, humbleness, patience and trust,
to nurture what’s hurting and seeking to rest.
The slowness, the intuition and love,
to build our sore souls a safe and warm nest.

I wish for all her gifts to lie
under the tree of life for us to receive.
I wish for new stories, that we weave.
I wish for new heroes, that we invent.
And I wish for that old white man
to become my close friend.
Cause only together we can ignite,
a new guiding star in the holy night.

Eine Reise durch die Wirklichkeit

 

Ich sitze in einem Zug zwischen den Welten. Und ich betrachte meine Umgebung und stelle fest, dass ich meine Aufmerksamkeit auf ganz verschiedene Dinge legen kann, ohne dabei den Blick abzuwenden.
Ich kann zum Beispiel auf die Fensterscheibe schauen und den Fokus meiner Betrachtung auf unterschiedliche Ebenen richten. Wenn mich die Menschen um mich herum anschauen, sehen sie mich nur, wie ich auf die Scheibe starre. Doch in mir durchlaufe ich verschiedenste Welten.

Ich kann natürlich zu erst einmal einfach aus dem Fenster schauen. Und dort kann ich auf den Horizont blicken, in die Ferne, in der alles nur sehr langsam »vorbei« zieht. Oder ich kann die Dinge betrachten, die mir und dem Zug nah sind und in Windeseile – in der Geschwindigkeit des Zuges – an mir vorbei rauschen. Meine Augen »springen« dabei und versuchen, immer wieder neue Dinge zu fokussieren, solange bis wir zu schnell sind und alles verschwimmt. Der Moment, in dem man zu schnell wird und alles verschwimmt, ist unangenehm und tut ein bisschen weh.
Das lässt sich wohl auch gut aufs Leben übertragen.
Und dann schaue ich etwas anderes an. Irgendwas beliebiges zwischen dem Zug und dem Horizont. Dort draußen ist eine ganze Welt. Und nach einer Weile abstrahiert sich das Bild und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich mich durch die Welt bewege oder an einer Welt vorbei oder ob die Welt sich an mir vorbei bewegt.
Es wird langsam dunkel draußen.

Je dunkler es wird, desto besser kann ich mein eigenes Spiegelbild sehen. Ich betrachte es lange. Ich betrachte es so, wie ich es noch nie betrachtet habe. Ich schaue mir in die Augen und stelle fest, dass es die Augen sind, mit denen ich es gerade ansehe. Ein verrückter Gedanke. Was wäre, wenn »ich« im Spiegelbild stecken würde, bzw. sich mein Bewusstsein auf das Spiegelbild übertragen würde? Würde das für meine Wahrnehmung überhaupt einen Unterschied machen? Der Gedanke einer Bewusstseins-Spiegelung macht mich nach einer Zeit etwas unruhig und ich kehre zurück zu dem bloßen Spiegelbild meines Körpers.

Ich sehe neben meinem Spiegelbild auch noch das des Mannes, der mir gegenüber sitzt. Er sitzt dort schon die ganze Zeit. Und er scheint neugierig zu sein, mich aber nicht direkt ansehen zu wollen. So starrt auch er auf die Scheibe. Und zwischendurch sieht er mich mal an. Jedoch nicht mich, die ich vor ihm sitze, sondern mein Spiegelbild. Und wenn ich sein Spiegelbild und seine Augen in der Scheibe anschaue, treffen sich unsere Blicke und wir haben »Augenkontakt« – in einer anderen Welt. Denn wir schauen uns nicht in die Augen. Wir schauen uns quasi ins Spiegelbild.

Dann löse ich mich aus diesem Kontakt und wandere mit meinem Blick auf der Reflexion meiner Scheibe weiter in die Tiefe des Raumes. Dort sehe ich hinter mir die vier Sitze auf der anderen Seite des Ganges. Auf einem von ihnen sitzt ein Mann. Er arbeitet an seinem Laptop und ich kann erahnen, dass er etwas schreibt oder programmiert. Dann tippt er etwas in sein Handy, dann schreibt er weiter auf dem Laptop. Zu ihm haben sich zwei weitere Menschen gesetzt und sie reden in einer mir fremden Sprache miteinander und zeigen sich gegenseitig Dinge auf ihren Smartphones. Sie sitzen Knie an Knie mit dem Mann mit dem Laptop und seine platzsparende Haltung lässt in mir die Frage erwachsen, ob er wohl morgen Rückenschmerzen haben wird.

Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Denn auch hinter ihnen befindet sich ein Fenster, das ich in der Spiegelung meines Fensters erkennen kann. Eine Scheibe, durch die ich einen weiteren Horizont sehen kann und ebenso Dinge, die dicht an ihr vorbei rauschen. Und auch in ihr sehe ich wieder Spiegelungen. Ich sehe in der Spiegelung meines Fensters die Spiegelung des Fensters hinter mir. Und die Spiegelung des Fensters hinter mir zeigt mich von hinten wie ich in die andere Richtung auf meine Scheibe blicke. Ich sehe mich also dabei an, wie ich mich ansehe. Es fühlt sich ein bisschen an, wie im Kreis zu gucken.

Und dann kann ich natürlich auch noch die Scheibe selbst betrachten.
Sie ist dreckig und mit einigen Fingerabdrücken versehen. Es sieht aus, als hätte hier vor nicht allzu langer Zeit ein Kind gesessen und auf Dinge gezeigt, die am Fenster vorbeiziehen – nur um dann festzustellen, dass es sie nicht anfassen kann, weil dort eine kalte durchsichtige Scheibe im Weg ist. Jede Berührung dieser unsichtbaren Wand hat Spuren auf ihr hinterlassen. Würde es wohl merken, wenn dort keine wirkliche Landschaft vorbeiziehen würde sondern ein Film von einer Landschaft? Können wir den Unterschied wirklich ausmachen, solange dort eine Scheibe zwischen uns ist, die verhindert, dass wir die Dinge berühren?
Plötzlich läuft eine Fliege an den Fingerabdrücken vorbei und lässt mich erkennen, dass die Scheibe für sie ungeachtet der Schwerkraft gerade der Boden ist, auf dem sie läuft. Ich versuche, gedanklich die Perspektive der Fliege einzunehmen. Wie verwirrend es sein muss, unter seinen eigenen Füßen auf eine Welt zu blicken, die unter dem »Boden«, der Glasscheibe, an einem vorbeirauscht. Man sähe den Horizont in der Tiefe unter sich. Mir vorzustellen, wie Himmel und Erde, »oben und unten« aus dieser Perspektive wirken müssen, sprengt meine Vorstellungskraft. Je nach dem, in welche Richtung ich blicke, würde es wie ein landschaftliches Fließband von vorne nach hinten oder von hinten nach vorne unter meinen Füßen langlaufen. Ein schwindelerregendes Gefühl. Doch die Fliege sieht das sehr wahrscheinlich so wie so ganz anders, weil ihre Augen andere sind und somit ihre Wahrnehmung eine andere ist und wahrscheinlich die geistige Verarbeitung dieser komplett anders abläuft.
Auch der Mann, der mir gegenübersitzt, beobachtet die Fliege. Vielleicht denkt er das gleiche. Oder er ekelt sich. Oder er denkt über ihre Sterblichkeit nach. Oder seine eigene. Oder er denkt gar nicht.

Natürlich kann ich nun auch noch alles betrachten, was sich zwischen mir und der Scheibe im inneren des Zuges befindet, bis hin zu meinem eigenen Körper, meiner eigenen Hand – bis hin zu meiner eigenen Nasenspitze.
Und das bringt mich zu einer weiteren physischen Ebene, die es zu betrachten gibt. Auf meiner Nase sitzt nämlich noch meine Brille. Und wenn ich mich gut anstrenge, kann ich in der Innenseite meines Brillenglases mein eigenes Auge sehen. Ich kann auch bei dieser Scheibe feststellen, dass sie Fingerabdrücke besitzt oder dreckig ist. Und sie ist von einer besonderen Form und besitzt scheinbar magische Kräfte. Sie entscheidet nämlich darüber, ob ich den Horizont oder meine eigene Hand überhaupt sehen kann. Sie befähigt meine Augen zu arbeiten. Sie verändert, was ich sehe oder wie ich wahrnehme. Sie könnte die Welt um mich herum schärfen und verunschärfen, sie einfärben oder abdunkeln. Auch diese Beobachtung lässt sich aufs Leben übertragen, welches wir alle durch unsere ganz individuell eingestellten geistigen Brillen betrachten.
Der Gedanke des Brillenglases bringt mich zu meiner eigenen Linse, welche Licht durchlässt und ein Bild auf meine Netzhaut wirft, welches mein Gehirn dann verarbeiten kann. Ich kann diese Linse allerdings nicht sehen. Genau so, wie ich mein Auge nicht sehen kann. Und da passiert ein großer Klick-Moment: Ich kann mein Auge nicht sehen, weil es das ist, was sieht. Und ich frage mich: Ist es so auch mit dem Selbst? Kann ich es nicht erkennen, weil es das ist, was erkennt? Und kann ich es deshalb ähnlich wie mein Auge nur als Spiegelung in anderen erkennen?

Ich springe aus dieser abstrakten Gedankenebene zurück ins physische Hier und Jetzt. Ich schaue mich um und frage mich, welche Gedanken die anderen Menschen hier gerade haben mögen, welche Ebenen sie wahrnehmen und welche Scheiben sie betrachten. Die meisten blicken offenbar auf die Scheibe ihres Smartphones und in die horizontlose Welt dahinter.
Und dann frage ich mich, was Scheiben überhaupt für uns bedeuten und wie faszinierend Glas doch ist. Es ist transparent, durchsichtig, fast so, als gäbe es vor, gar nicht da zu sein. Es schützt uns einerseits und ist uns zugleich eine Grenze, die uns trennt. Mal lässt es Licht und unseren Blick durch und mal wirft es ihn zu uns zurück. Und dann sehen wir Dinge, wie zum Beispiel unsere eigenen Augen oder uns selbst von hinten – Dinge, die wir sonst nie im Stande wären zu betrachten. Und wenn wir uns dieser Wirkung von Glas und Reflexion bewusst sind, eröffnet es uns die Möglichkeit einer Abgrenzung von innen und außen und das Wahrnehmen einer Tiefe, die physisch eigentlich gar nicht da ist. Wir können die Reflexion nutzen als Multiplikator parallel existierender Ebenen oder Realitäten. Und wenn wir dies bis zum Ende denken, macht es uns dieses Element so nicht auch möglich, Unendlichkeit zu visualisieren? So wie man es zum Beispiel von zwei sich gegenüberliegenden Spiegeln kennt?

Ich bin fast ein wenig erschöpft von den Sprüngen zwischen all diesen Ebenen. Ich merke, dass meine Wahrnehmungs-Kapazität eine Grenze hat. Und ich kann mir gut vorstellen, dass manche Menschen sich irgendwo zwischen diesen Wirklichkeiten verlieren.
Ich beschließe, zurück zum Anfang zu gehen und aus dem Fenster zu schauen.
Wir stehen mittlerweile an einem Bahnhof. Draußen auf dem anderen Gleis steht ein anderer Zug. In ihm auf meiner Höhe sitzt eine Frau, die aus dem Fenster sieht. Und in dem Vierer hinter ihr ein Mann, der auf der anderen Seite aus dem Fenster sieht beziehungsweise auf die Scheibe schaut. Und ich sehe sein Spiegelbild auf jener Scheibe. Und ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht schauen wir uns gerade in die Augen.
Mir kommt ein Gedanke. Ich drehe mich um und schaue auf die Fensterscheibe hinter mir. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber ich kann sogar in der Spiegelung dieser Scheibe den anderen Zug sehen. Und, wenn ich genau hinsehe, erkenne ich auch jenen Mann und sein Spiegelbild, welches er betrachtet.
Ich bin fasziniert. Wenn er wüsste, was ich hier gerade tue, könnten wir uns »in die Augen« schauen, obwohl wir einander abgewandt in zwei unterschiedlichen Zügen sitzen.

Nichts ist unmöglich.

The old one within me

May I introduce to you: this is me. Or rather: this is, who I may look alike when I’ll be at the age of a lady, that carries along the wisdom of a lifetime.
I’ve met her in a dream. And I’ve aged a picture of myself with an app to remember her and to share this experience with you.
So if I look at this picture, I look into my own eyes, knowing, that the day might come that I’ll have actually grown into her. I don’t know what world we’ll be living in by then and for this moment now, it doesn’t matter. Because what I’d like to share with you, is, that she is not only a future version but also part of me already.
She has been with me, since I am part of this world.
She is my inner wisdom.
She is all what all my ancestors before me have experienced and known.
She knows the pain of loss.
She knows the fear of being alone.
She knows the joy of being alive.
And she has seen all of it come and go.
She takes responsibility for her thoughts, emotions and actions.
She is something inside of me that I look up to with humbleness.
She is a part of me, which allows me to give myself comfort and stability.
She is forgiving and patient.
She is grateful and humble.
She is never in a rush and always welcomes problems with a smile.
She speaks only when I am silent.
She is listening when I speak.
And sometimes she sees what I can’t see (yet).
She is the one feeding my intuition.
Her spirit is not just inside of me but connected to all the other elders, to collective wisdom.
And I have a feeling that we all – deep inside – have a part like this in ourselves. That we all have this timeless quality within, if we are willing to stop tweeting and talking and doing and buzzing and instead listen inside and connect.
Then we only need to trust and surrender.
But I find this to be quite a challenge.
Isn’t it?

STARK: Über die Geburt der Marke, Start-Up-Spirit & Eis im Bauch

Eine Marke in die Welt zu bringen und so lange zu begleiten und aufwachsen zu sehen, wie es bei der Food-Brand STARK der Fall war, macht mich nicht nur glücklich und stolz, sondern ließ auch eine starke Verbindung entstehen. Die Zusammenarbeit mit einem Start-Up wie diesem hat mich dabei in meinem Wachstum unterstützt, öffnete mir als Selbstständige unter anderem die Augen in Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen Idealismus und Pragmatismus und ermöglichte mir die Arbeit in einem Team, in dem ich viel Eigenverantwortung leben und erleben durfte.

Die Geschichte begann vor etwa 6 Jahren. Damals hieß STARK noch IWICE und ich übernahm das Projekt gemeinsam mit meinem ehemaligen Studien-Freund Christian Friedrich als eines der ersten umfangreicheren Brandings meiner Selbstständigkeit. Uns wurde von Anfang an ein großes Maß an Vertrauen und Freiheit in der Umsetzung unserer Ideen entgegen gebracht. Die österreichische Marke schafft es in den Handel. Zwei Jahre und eine Hersteller-Insolvenz später, fusioniert IWICE mit dem Start-Up Purefood, welches unter anderem auch die Tochtermarke Lycka vertreibt, und wird zu STARK. Gründer und Gründerin Lukas und Johanna kann ich zu dem Zeitpunkt bereits meine Freunde nennen und sie bestehen darauf, dass ich bei diesem Schritt an ihrer Seite bleibe. So darf ich auch beim Relaunch der Marke Geburtshelferin sein und ihr erneut ein Gesicht und einen visuellen roten Faden verpassen. STARK wächst und auch ihre Schwestermarke Lycka bekommt eine Rundum-Überarbeitung – dieses Mal von mir im Duo mit Marie Kersten.
In die Marken floss auf diesem Weg viel Herzblut und es war eine wahre Freude, in die Welt von Purefood einzutauchen. Ich konnte dezentral und in meinem Rhythmus arbeiten und die Zusammenarbeit ermöglichte es mir so, unterwegs zu sein und zu reisen.

Wann immer ich dann doch mal in Hamburg war und das Büro betrat, schwappte mir eine Art klassischer Start-Up-Spirit entgegen (zumindest stelle ich ihn mir so vor): In einer Ecke werden neue Eis-Sorten verkostet, in den Sauna-Kabinen, die zu gemütlichen Telefon-Kabinen umfunktioniert wurden, gestikulieren fleißige Menschen in ihren Calls und ein Zimmer weiter wird eine Runde Flunky-Ball gespielt. Das gemeinsame Mittagessen steht schon auf dem Tisch, ich werde herzlich begrüßt und fühle mich Zuhause. Obwohl ich nicht angestellt bzw. auch keine »Ownerin« bin, sondern nur punktuell als Freelancerin dazukomme, werde ich als Teil des Teams behandelt und in die Entwicklungs-Prozesse der Marken und Firma auf vielen Ebenen involviert.

So waren mir häufig auch die Teilnahme an Teamtreffen und Offsite-Events vergönnt. Einblicke in die Hintergründe der Organisationsstrukturen und Wachstumsprozesse zu bekommen und eigene Themen und Ideen einbringen zu können, war für mich eine willkommene Abwechslung zum Freelancerinnen-Alltag. So bot ich der Gruppe zum Beispiel eine kleine Meditations-Reise an, öffnete einen Sharing-Kreis zum Thema Glück und versuchte, meine Außenperspektive in den strategischen Gruppen-Sessions mit einzubringen.

Auch noch in der etwas fortgeschritteneren Anfangsphase wurde viel diskutiert. Es ging um Werte und Philosophie, faire und neuartige Gehaltsmodelle, die Entwicklung der Organisation mit ihren verschiedenen Untermarken, die Kommunikations- und Feedback-Kultur im internen Miteinander, neue Tools und, und, und…
All diese Werte zu entwickeln und aufrecht zu erhalten unter dem Druck des Vertriebsapparates Einzelhandel und den wachsamen Augen und Erwartungen von Investoren, ist allerdings nicht unbedingt ein Zuckerschlecken. Für die Idealistin in mir war und ist dieses Spannungsfeld auf jeden Fall eine Grenzerfahrung. Ich lernte hier als Gestalterin außerdem den pragmatischen Ansatz von Macher:innen so in meine Arbeitsweise zu integrieren, dass sich mein eigener Qualitätsanspruch und das Budget eines Start-Ups auf dem Weg zum coolen Design irgendwo bei einem effizienten Ergebnis treffen sollten.

Mittlerweile hat sich der Zauber des Anfangs in einen Wind des Wachstums verwandelt. Das Unternehmen erobert weiter die Supermärkte und bringt so mehr und mehr soziale vegane Bio-Produkte in die Supermarkt-Regale. Mit ihm wachsen auch seine Strukturen und Prozesse, die Büroräumlichkeiten und die Mitarbeiter-Zahlen. Es gibt nun auch eine hausinterne Marketing- und Designabteilung, mit der ich nach wie vor hin und wieder zusammen arbeite.

Während ich mich freue, dass Marken wie diese die Supermärkte erobern und Menschen eine Alternative zu ihren gewohnten Produkten anbieten, beschäftigen mich mittlerweile immer stärker die Systeme, die sich um einen Gegenvorschlag zum allbekannten Konsum bemühen. Lebensmittel-Rettung, gemeinschaftliche Bestellung von Großgebinden, Solidarische Landwirtschaft oder der eigene Anbau von Obst und Gemüse sind (teilweise keine neuen) spannende Konzepte und halten Stück für Stück Einzug in meine Lebens- und Arbeitsrealität.

Ich unterstütze STARK trotzdem manchmal noch und werde dann am großen Esstisch willkommen geheißen – und jedes Mal gibt es ein unfassbar leckeres Eis zum Nachtisch.
Danke Johanna und Lukas und danke Team Purefood für die Reise bis hierhin!

Die Projektaufbereitung und weitere Infos zur Marke STARK findet ihr hier.
Fotos: ©Purefood, Fotografin: Julia Bischoff